Bericht im OVB (Konrad Kern) vom 27.11.2012 zum Weißbuch der IGW

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Ovb wn 27.11.2012

Immer wieder hatte Stadtarchivar Konrad Kern in Dokumenten aus der Waldkraiburger Frühgeschichte Verweise auf ein sogenanntes "Weißbuch" der Industriegemeinschaft gelesen. Doch was dort genau steht, blieb eine offene Frage. Jetzt kann er sie beantworten. Seit Kurzem liegt ihm das "Weißbuch", eine Sammlung von Briefen Waldkraiburger Unternehmer aus dem Jahr 1949, vor.

Bericht im OVB (Konrad Kern) vom 27.11.2012 zum Weißbuch der IGW

Nachrichten aus der Waldkraiburger Vergangenheit: Stadtarchivar Konrad Kern mit dem "Weißbuch" und der "Werkspost".

Waldkraiburg - Ihr 65-jähriges Bestehen feiert die Industriegemeinschaft Waldkraiburg-Aschau in diesem Jahr. Der Blick richtet sich dabei insbesondere auf die Gründerzeit der Wirtschaftsvereinigung. Und in diese Gründerzeit gehört ein wichtiges Dokument, das kürzlich auftauchte, eben das "Weißbuch".

Alle Schreiben, die das Dokument enthält, kreisen um ein Thema: Ob Bauunternehmer, Feingerätehersteller oder  Glasveredler, Fabrikant oder Gastwirt, Handwerker oder Händler - alle machen in den Briefen ihrem Ärger Luft über Erfahrungen, die sie in den Jahren 1947 bis 1949 mit der Montanverwaltung und deren Treuhänder Otto Seeger gemacht haben. Sie berichten über dessen selbstherrliche Art, nicht nachvollziehbare Entscheidungen und beklagen vor allem überhöhte Mietpreise für die Bunker. Wenn Firmengründer selbst einfache Ein- und Umbauten organisieren und vornehmen und dabei zum Beispiel auf Baumaterial aus anderen Bunkern zurückgreifen, werden sie von der Montan gleich noch einmal mit saftigen Mieterhöhungen zur Kasse gebeten.

Nach dem Krieg war die Montan, ursprünglich eine Tarnfirma der Wehrmacht, anders als die Betreiberfirma des Rüstungswerkes, die Deutsche Sprengchemie, nicht liquidiert worden. Die Montanindustrie GmbH war weiter für die Verwaltung des Geländes zuständig, ihre Treuhänder suchten das Reichsvermögen, das später in Bundesvermögen überging, wirtschaftlich zu führen und zu erhalten. An der Situation und den Möglichkeiten der meisten Firmen ging Seeger damit vorbei.

Unter den vorgegebenen Bedingungen können die Firmengründer, der Großteil von ihnen waren Heimatvertriebene, auf keinen grünen Zweig kommen. Sie lehnen die Montanverwaltung als Verhandlungspartner ab. Im August 1949 teilt die Industriegemeinschaft das in einem Schreiben an den Vizepräsidenten des Bayerischen Landesamtes für Vermögensverwaltung, Dr. Bergmann, mit und legt viele dieser Briefe bei, um ihren Standpunkt zu untermauern.

Politikern und hohen Behördenvertretern gingen diese Schreiben zu, so Kern. Die Dokumentensammlung diente der Rechtfertigung des eigenen politischen Handelns der Industriegemeinschaft, daher kommt wohl auch der Name "Weißbuch".

Die Wirkung der Briefe hielt sich nach Einschätzung Kerns freilich in Grenzen. Gehör und Unterstützung fanden die Waldkraiburger bei den Behörden vor Ort, in der Landkreisverwaltung, kaum bei übergeordneten Stellen. Landrat Sebastian Gossner senkte die Mietpreise per Verwaltungsbefehl. Dieser musste aber nach einem Jahr wieder zurückgenommen werden. Und selbst nach der Gründung der Gemeinde im April 1950 blieb das Grundstücksproblem ungelöst. Die "verrückte Situation" (Kern), dass die neue Kommune auf einem Territorium entstand, das einer nach GmbH-Recht geführten Firma gehörte, hielt noch drei Jahre an. Grundlegend geändert habe sich das erst 1953 mit dem Verkauf der Grundstücke an die Bayerische Landesanstalt für Aufbaufinanzierung. Die ungelösten Probleme haben die Entwicklung der Firmen "sehr verzögert und behindert", so Kern.

Das "Weißbuch" fülle eine Lücke in der Dokumentation der Waldkraiburger Frühgeschichte, sagt der Stadtarchivar. Völlig unvermittelt lag es vor wenigen Wochen auf seinem Schreibtisch im Rathaus. Michael Reisegast, Enkel des ehemaligen Geschäftsführers der Industriegemeinschaft, Hans Reisegast senior, hatte es überraschend in einer alten Schachtel gefunden, wie er erzählt, und das Dokument dem Stadtarchiv zukommen lassen. So wie vor zwei Jahren einen ganzen Umzugskarton voller Akten zur IGW-Geschichte.

Hans Reisegast senior, der von 1949 bis zu seinem plötzlichen Tod 1962 Geschäftsführer des Wirtschaftsvereins war, hatte das Material gesammelt und aufbewahrt. Unter anderem auch die legendäre Werkspost, die im Dezember 1962, also vor genau 50 Jahren, eingestellt wurde. Wenn man so will, handelt es sich dabei um die erste Zeitung Waldkraiburgs, die als Postwurfsendung allen Mitgliedsbetrieben zuging. Neben Informationen der IGW und ihrer Firmen enthält die Werkspost, die ein- bis zweimal im Monat erschien, Nachrichten aus allen Bereichen des Lebens, Informationen über Strompreise, sportliche Wettbewerbe und Veranstaltungen, Aktivitäten von Vereinen und Werbung von Waldkraiburger Geschäften.

So reichhaltig und vielfältig sind die Quellen aus der frühen Wirtschaftsgeschichte Waldkraiburgs, dass sie der Stadtarchivar für ein "lohnendes Thema für eine wissenschaftliche Arbeit" hält. hg